Mit dem 993 kommt die vierte Elfer-Generation des Sportwagens auf die Straße. Jetzt feiert der 993 seinen 30. Geburtstag.
Flach und sportlich steht er da auf dem Messestand der IAA in Frankfurt, der neue 911. Typisch 911, und doch irgendwie anders. Moderner, schnittiger, noch dynamischer. 30 Jahre nach der ersten Vorstellung des 911 präsentiert Porsche mit dem intern 993 genannten Modell die vierte Generation des beliebten Sportwagens. Was die wenigsten Fans und Kunden der Marke zu der Zeit wissen: Bei Porsche steht es kurz vor Wasserkühlung. Als 1993 der 993 startet, erlebt der luftgekühlte Boxermotor die besten fünf Jahre – als Höhepunkt der 30-jährigen luftgekühlten Phase. Damit wird der Antrieb des 993 zu dem Letzten seiner Art.
Technik und Design optimiert Porsche grundlegend. Porsche investiert rund 400 Millionen D-Mark und vier Jahre Entwicklungsarbeit, um den Sportwagen weiter attraktiv zu halten und neue Kunden anzusprechen. „Der Porsche 911 muss auf dem höchstmöglichen Stand gehalten werden“, sagte Horst Machart, damaliger Entwicklungsvorstand von Porsche. Praktisch bleibt nur die Dachlinie zum Vorgänger 964 unverändert. Die vorderen Kotflügel verlaufen breiter und flacher als bei den Vorgängern. Statt stehenden Rundscheinwerfern liegen die Streuscheiben der neuen Ellipsoid-Schweinwerfer nun deutlich flacher. Front- und Heckpartie werden zudem eleganter. Im Bug integrieren die Designer Standlicht, Nebelscheinwerfer und Blinker. Die hinteren Kotflügel verbreitert Porsche und gestaltet sie zudem geradliniger zum Heck. Über dem hinteren Stoßfänger verläuft ein angewinkeltes Lichtband mit integrierten Rückleuchten. Darüber liegt die Motorhaube mit dem automatisch ausfahrbaren Heckflügel.
Gleichzeitig spricht der 993 durch ein angenehmeres und komfortableres Fahrverhalten sowie die höhere Langstreckenqualität eine größere Kundenschicht an. Denn 1993 ist leider kein gutes Jahr für Porsche: Die Marke steckt insgesamt in der Krise. Der Porsche 911 der Generation 993 muss teilweise den Betrieb alleine tragen, weil die Transaxle-Modelle auslaufen. Porsche konzentriert sich daher strategisch auf den 911 – und fährt mit dem 993 wieder in die Erfolgsspur.
Den ikonenhaften Sechszylinder-Boxermotor mit 3.6 Litern Hubraum verbessern die Ingenieure weiter. Dazu zählen unter anderem eine torsionssteifere Kurbelwelle, leichtere Pleuel und Kolben sowie erweiterte Einlasskanäle und leichtere Ventile. 200 kW (272 PS) leistet das Triebwerk bei 6.100 U/min, geschaltet wird über ein neu entwickeltes, enggestuftes, manuelles Sechsganggetriebe, optional liefert Porsche eine Viergang-Tiptronic-Automatik. Die Wartungsintervalle verlängern, der Kraftstoffverbrauch verringert sich.
Neu entwickelt ist die LSA-Hinterachse. LSA steht für Leichtbau-Stabilität-Agilität und sorgt für ein noch präziseres Fahrverhalten bei verbessertem Abrollkomfort. Bis heute gilt die Mehrlenkeraufhängung als ultimative Entwicklungsstufe der „Weissach“-Hinterachse, die mit ihren Selbstlenkeigenschaften Geschichte geschrieben hat. Das Ergebnis: noch mehr Fahrdynamik und weiter verbesserter Federungskomfort. Für eine extrem sichere Verzögerung dient eine Bremsanlage mit einer Bremsleistung von 1.360 PS.
Im Innenraum überzeugt der 993 durch sein schlankeres Airbag-Lenkrad, neu gestaltete Sitze und Türverkleidungen. Auch bei den Schaltern, Tasten und dem Lenkstockhebel arbeitet Porsche nach, verbessert Haptik und Griff. Das Kofferraumvolumen erhöht Porsche um 20 Prozent auf 123 Liter.
Porsche bietet den 993 ab 1993 als 911 Carrera Coupé an, ab Frühjahr 1994 kommt das 911 Carrera Cabriolet hinzu. Der 911 Targa debütiert 1995 mit einem neuen Konzept: Statt eines herausnehmbaren Dachteils besitzt er ein großflächiges Glasdach, das elektrisch unter der großen Heckscheibe abtauchen kann. Wie beim Vorgänger 964 heißt der 911 mit Allrad Carrera 4, der ab Modelljahr 1995 für Coupé und Cabriolet erhältlich ist. Neu gesellen sich zur vierten Modellgeneration die Varianten 911 Carrera 4S, 911 Carrera S und 911 GT2 hinzu.
Einer der Höhepunkte wird wieder der schnelle und leistungsstarke 911 Turbo. In der vierten Generation setzt Porsche ab Frühjahr 1995 auf doppelte Aufladung und Allradantrieb. Die Ausbeute: 300 kW (408 PS). Zugleich überzeugt der 3.6-Liter-Biturbo mit den geringsten Abgasemissionen aller Serienmotoren seiner Zeit. Zusätzlich entwickelt Porsche die beiden extremen Sportler 911 Carrera RS und 911 GT2 für Straße und Rennstrecke. Damit nicht genug. Eine weitere Karosserievariante folgt als Serienmodell: Der allradgetriebene 911 Carrera 4S – wenig später gefolgt vom Carrera S – kombiniert die breite Karosserie und das Fahrwerk des 911 Turbo. Nur Turbolader und Heckflügel bleiben außen vor.
Die vierte 911-Generation als letzte Evolutionsstufe der luftgekühlten Boxermotoren lohnt sich für Porsche: Bis 1998 produziert Porsche 68.881 Fahrzeuge des 993 und schließt damit das Kapitel der luftgekühlten Motoren in dieser einzigartigen Modellgeschichte. Nach 35 Jahren bricht eine neue Epoche an.
Motoren
Der Sechszylinder-Boxermotor des 993 stellt die höchste Evolutionsstufe der luftgekühlten Sechszylinder-Motoren dar. Zusammen mit dem homogenen Design ein Grund, warum die vierte Modellgeneration bei Porsche-Enthusiasten damals wie heute sehr beliebt ist. Für die 911 Carrera- und Carrera-4-Modelle konzipiert Porsche einen 3.6-Liter-Boxermotor mit hydraulischem Ventilspielausgleich und anfangs 200 kW (272 PS) – der Vorgänger-Carrera leistete 184 kW (250 PS). Vorteil: mehr Leistung bei geringerem Verbrauch und längeren Wartungsintervallen.
Der 911 Carrera beschleunigt in 5,6 Sekunden auf 100 km/h, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 270 km/h. Die Porsche-Exklusive-Abteilung bietet ab Modelljahr 1994 eine Leistungssteigerung auf 3.8 Liter Hubraum und 209 kW / 285 PS an, ab Modelljahr 1996 sind es 221 kW/ 300 PS. Auch Porsche Motorsport schärft das Triebwerk nach: Mit dem Motor-Kit 2 leistet der Sechszylinder mit 3.8 Litern Hubraum 220 kW/ 299 PS – gut für 280 km/h. Ab Modelljahr 1996 leistet der 3.6-Liter-Boxer im 911 Carrera 209 kW/285 PS.
Geschaltet wird statt mit einem manuellen Fünfganggetriebe wie beim Vorgänger nun über ein manuelles, enggestuftes Sechsganggetriebe. Um den bis über 270 km/h reichenden Geschwindigkeitsbereich sinnvoll abzudecken, ohne die Kraftentwicklung des Motors durch eine lange Übersetzung zu beschneiden, erhält das Getriebe einen sechsten Vorwärtsgang. Zudem lässt es sich nochmals präziser und geschmeidiger schalten. Optional bietet Porsche eine Automatik an. Ab Modelljahr 1995 erleichtern Wippen am Lenkrad die Schaltarbeit bei der Tiptronic S.
Bei den Allradmodellen mit Visco-Lamellenkupplung gehört das fahrdynamische Sperrsystem, eine Kombination aus Sperrdifferential und aktivem Bremsdifferential, zur Serienausstattung. Die Visco-Kupplung teilt der Vorderachse stets das ideale Antriebsmoment zu. Zwischen 5 und 35 Prozent der Kraft leitet die Kupplung an die Vorderachse, im Extremfall sogar bis zu 50 Prozent der gesamten Leistung.
Mit dem 911 Turbo betritt Porsche ab Modelljahr 1995 neue Sphären. Erstmals ist der 3.6-Liter-Sechszylinder mit zwei Turboladern ausgestattet. Vorteil der kleineren Lader statt eines großen: Das Ansprechverhalten bei niedrigen Drehzahlen verbessert sich deutlich. 408 PS leistet das Triebwerk. Damit beschleunigt das Coupé in 4,5 Sekunden auf 100 km/h und fährt bis zu 290 km/h schnell. Mit der Leistungssteigerung ab Modelljahr 1996 erreicht das Triebwerk 316 kW (430 PS). Im Modelljahr 1998 bietet Porsche Exklusive die Variante 911 Turbo S mit 331 kW (450 PS) an, und auch eine Leistungssteigerung für den 911 Turbo erreicht 450 PS.
Modellvarianten
Die Varianten-Vielfalt innerhalb der Elfer-Familie nimmt beim 993 deutlich zu. Nach dem Coupé 1993 folgt im Frühjahr 1994 das Cabriolet mit elektrischem Verdeck und integriertem, selbstaufstellendem Windschott. Ab Modelljahr 1994 zählt der Carrera 4 zum Porsche-Programm. Vorteil der Allrad-Modelle: Trotz mehr Traktion fahren sich die Carrera 4-Modelle weiter hecklastig und damit gewohnt wie ein 911. Der 911 Targa mit Glasdach kommt zum Modelljahr 1996, ebenso der 911 Carrera 4S – ein Allradantrieb mit der breiten Turbo-Karosserie und dem Sechszylinder-Saugmotor.
Zu 911 Carrera, 911 Carrera 4 und 911 Turbo kommen die Modelle 911 GT2 und 911 Carrera RS hinzu. Alleine beim 911 Turbo bietet Porsche innerhalb der vierten Generation des 911 mit den Leistungssteigerungen ab Werk vier Modell- und Motorvarianten zwischen 408 und 450 PS.
Der RS mit 3.8-Liter-Hubraum und 300 PS wiegt rund 100 Kilogramm weniger als ein Carrera und ist vor allem für Rundstrecken gedacht. Der 911 GT2 basiert auf der Turbo-Karosserie und erhält zusätzlich ein umfangreiches Spoilerwerk an Bug, Seite und Heck, verzichtet aber auf einen Allradantrieb. Die um 60 Millimeter verbreiterte Turbo-Karosserie mit dickeren Kotflügeln besitzt am Heck einen neugestalteten Heckspoiler.
Mit dem 911 Carrera S kombiniert Porsche 1997 die Karosserie des 911 Turbo mit den Saugmotoren des Carrera. Als Antrieb dient der 3.6-Liter-Boxermotor, der seine Leistung von 285 PS ausschließlich über die Hinterräder abgibt.
Neben Coupé und Cabriolet (ab Frühjahr 1994) bietet Porsche den 993 ab 1996 auch wieder als Targa-Version an. Diesmal allerdings nicht mit herausnehmbarem Dachteil, sondern mit einem elektrisch hinter der Heckscheibe versenkbarem Glasdach. Zudem lässt sich die Heckscheibe öffnen. Porsche-Exklusive baut 14 Cabriolets mit dem 3.6-Liter-Turbo-Motor. Noch nie war es so einfach – oder so schwierig, je nach Sichtweise –, den passenden 911 zu finden.
Innovationen
Mit dem neu konstruierten Aluminium-LSA-Fahrwerk (Mehrlenkerhinterachse) verbessert Porsche Fahrdynamik und Fahrkomfort des 911 maßgeblich. 1995 wird erstmals die Turbo-Variante mit einem Biturbo-Aggregat ausgestattet, das in dem Jahr als emissionsärmster Serien-Automobilantrieb der Welt gilt. Möglich wird das unter anderem durch das eingeführte Abgas-Kontrollsystem OBD II. Eine weitere Innovation der allradangetriebenen Turbo-Version sind die erstmals im Automobilbau verwendeten Hohlspeichen-Aluminiumfelgen. Porsche setzt ab 1996 das Varioram-Ansaugsystem für die 3.6-Liter-Motoren ein. Das System mit unterdruckgesteuerten Schiebern verändert die Saugrohrlänge und sorgt damit für einen besseren Drehmomentverlauf.
Design
Als Höhepunkt der luftgekühlten Ära gilt der 993. Er begeistert aus allen Blickwinkeln mit einer spannenden Interpretation der Porsche Design-DNA. Dazu zählt das Wechselspiel von konkaven und konvexen Formen. Die integrierten Stoßstangen unterstreichen den harmonischen Gesamteindruck. Die Frontpartie ist dank der Polyellipsoid-Scheinwerfer flacher als bei den Vorgängern. Die hinteren Kotflügel sind breiter gezeichnet und verlaufen gradliniger zum Heck. Das gesamte Leuchtenband läuft schräg liegend übers Heck, darin integriert Porsche Rückleuchten und gelbe Blinkerleuchten.