Gerüstet für den Wettbewerb
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre entwickelt Porsche eine rennsporttaugliche Version des 911. Der 911 R erreicht mit umfangreichen Gewichtseinsparungen ein Leergewicht von nur 800 Kilogramm. Für die Serienproduktion eines derart reduzierten 911 ist es zwar zu früh. Aber die Erfahrungen aus der Konstruktion fließen in ein neues Projekt ein: Porsche bietet ab 1969 eine Wettbewerbsausrüstung für den 911 S an. Um die aufwendige Typisierung eines neuen Modells zu umgehen, trägt das Auto offiziell weiter seine reguläre Verkaufsbezeichnung. Intern nennt Porsche ihn 911 ST.
Leichtbau ist ein Kernthema des Fahrzeugs. Porsche homologiert eine Kombination aus dem 911 S mit 2,2-Liter-Motor und der reduzierten Innenausstattung des 911 T für die Gruppe 3 der FIA. Zur Gewichtsreduktion tragen unter anderem Scheiben aus Plexiglas sowie Karosserieteile aus Aluminium und GFK bei. Das Auto fährt bereits im Januar 1970 erste Erfolge ein: Bei der Rallye Monte Carlo sichern sich gleich drei Porsche 911 S 2.2 (ST) die Plätze 1, 2 und 4. Im Laufe der Bauzeit fahren 911 S (ST) in verschiedenen Ausbaustufen unter anderem bei der Akropolis Rallye (1969), auf dem Nürburgring (1970), bei der East African Safari (1971) und bei den Langstreckenrennen von Le Mans (1972) und von Daytona (1973).
Ab Oktober 1970 führt Porsche den 911 S (ST) als „Sport-Standard-Ausführung“ mit Straßenzulassung unter der Mehr-Minder-Ausstattungsnummer M471. Mit dieser Nummer lässt sich das ST-Paket bei jedem Händler bestellen, es ist regulärer Bestandteil des 911-Portfolios. Die Motorsport-Version für die Rundstrecke erhält die Nummer M491, in der Rallye-Variante die Nummer M494.
Porsche entwickelt das Konzept kontinuierlich weiter. Das FIA-Reglement erlaubt eine Hubraumsteigerung um 0,1 Liter gegenüber dem Serienaggregat. Die Wettbewerbsausführungen erhalten Motoren mit 2,3 Litern (Januar 1971), 2,4 Litern (März 1971) und schließlich 2,5 Litern Hubraum (September 1971). Ab Januar 1970 schaffen Kotflügelverbreiterungen aus Kunststoff Platz für breite Reifen auf Felgen in 7 und 9 Zoll. Da die FIA für die Saison 1972 den Austausch von Karosserieteilen gegen solche aus Kunststoff verbietet, baut Porsche die Verbreiterungen ab September 1971 aus Stahl.
Während der Bauzeit verändert sich das Erscheinungsbild des 911 S (ST). Dennoch verfügt er stets über einige prägende Merkmale: In der „Sport-Standard-Ausführung“ entfallen Stoßstangenhörner, Befestigung für Zusatzscheinwerfer, Zier- und Schutzleisten an den Türen sowie Gummi- und Zierleisten an den Stoßstangen. Gummistraps ersetzen die Deckelschlösser vorn und hinten. Im Innenraum weichen Chromschmuck, Beifahrersonnenblende, Aufnahmepunkte für Gurtbefestigungen, Entdröhnpappen, Gummi-Fußmatten, Ascher, Heizung und Handschuhfach. Dafür installiert Porsche einen Tourenzähler bis 10.000 1/min, ein kleineres Lenkrad, die Schalensitze „Scheel“ oder „Recaro“ mit Hosenträgergurten, reduzierte Türverkleidungen, einen dünnen Nadelfilzteppich und eine Fußablage für den Fahrer. Auf Wunsch gehören außerdem eine Stoppuhr-Zeituhr-Kombination, das Rechengerät Twin-Master mit Leselampe, ein Hupenknopf für den Beifahrer und eine Sprechanlage für beide Insassen zur Ausstattung.
Neben dem größeren Hubraum setzt Porsche zudem weitere Maßnahmen an den Motoren des 911 S (ST) um: Vergaser mit spezifischen Ansaugrohren, scharfe Nockenwellen und eine Doppelzündanlage steigern die Leistung. Für die Wettbewerbsvarianten entwickeln die Ingenieure eine gegendruckoptimierte Abgasanlage und modifizierte Zylinderköpfe mit dazugehörigen Zylindern. In seiner letzten Evolutionsstufe leistet der 2,5-Liter-Boxermotor 270 PS. Ein zusätzlicher Kühler reguliert die Temperatur des Motorölkreislaufs. Stoßdämpfer von Koni oder Bilstein und Verstärkungen an der Karosserie verbessern das Fahrverhalten.
Die Produktion des 911 S (ST) endet nach rund drei Jahren. Auf ihn folgt ein weiteres Modell mit Motorsport-Fokus und der Ausstattungsnummer M471: Fortan bildet der 911 Carrera RS 2.7 mit seiner ausgefeilten Aerodynamik, weiteren Leichtbau-Maßnahmen und mehr Motorleistung die sportliche Spitze der Porsche-Palette.